... gründete 2015 mit drei promovierenden Kollegen bei Prof. Dr. Manfred Broy, Professur für Software & Systems Engineering an der Technischen Universität München (TUM), die Qualicen GmbH. Sie setzten so den Auftrag der Industriepartner der vorangehenden Forschung, deren Ergebnisse in die Praxis zu realisieren, um. Beratungs- und Umsetzungs-Schwerpunkt sind Methoden für optimales Requirements Engineering und nachhaltige Software- und Systemqualität. Juli 2021 wurde er als Professor for Requirements Engineering and IT Quality Management an die Fachhochschule Südwestfalen berufen. Dort gibt es heute einen Master mit den Schwerpunkten IT-Qualität, Requirements Engineering und Software-Test. Darüber hinaus absolvieren alle Bachelor-Studierenden der Wirtschaftsinformatik, des Wirtschaftsingenieurwesens und der BWL eine Pflichtveranstaltung im Kontext Business Analysis.
Interview & Autor: Stefan H. Poleck
Wie kam es zur Gründung Ihres Unternehmens?
Wir haben alle bei Prof. Dr. Broy im Bereich Softwaretechnik anwendungsnah geforscht. Zentral war dabei die Frage wie man kann mit künstlicher Intelligenz Prozesse optimieren und Systeme bauen kann, die Ingenieure in ihrer Arbeit unterstützen. Die beauftragenden Unternehmen sind im Anschluss auf uns zugekommen und wollten das Erforschte in der Praxis produktiv einsetzen. So ist dann in Kooperation mit Doktorvater und drei anderen Doktoranden die Idee entstanden, Software- und Systementwicklung durch Verfahren der künstlichen Intelligenz in der Praxis zu unterstützen. Es kam eher von den Firmen als von uns.
Was waren Ihre ersten Schritte?
Wir wollten den Kundenwunsch bedienen: die Systeme, die wir entworfen hatten, auch produktiv einzusetzen. Unser Vorteil war, dass wir unser Gründerteam eigentlich schon hatten. So konnten wir uns aufteilen: ein Teil des Teams hat den Kundenwunsch umgesetzt. Anfangs neben der Arbeit und dann immer mehr als Hauptjob. Der andere Teil des Teams hat sich um den Aufbau des Unternehmens gekümmert.
Was hat Ihnen am meisten geholfen?
Unsere Mentoren. Wir hatten mehrere, die selber Unternehmensgründer sind. Von der Erfahrungen der Mentoren haben wir sehr profitiert. Gründung ist kein mathematischer Prozess, wo ich die richtige Antwort ausrechnen kann. Es ist eher ausprobieren, scheitern, anders machen oder nochmal neu anfangen. Wir hatten eine steile Lernkurve. Alle waren in unserem Team in der gleichen Situation und hatten Lust, jede freie Minute zu investieren.
Was waren Ihre größten Herausforderungen?
Zum einen die technischen und zum anderen die menschlichen Herausforderungen. Wie löse ich ein Problem mit einer technischen Innovation? Wenn man die Frage akademisch beantwortet hat, folgt die Umsetzung in der Praxis. In einem Gründerteam gibt es eine ähnliche Dynamik, wie in einer Zweier-Partnerschaft. Und dann das Thema Kontextfaktoren. Zum Glück haben wir für mehrere Branchen gearbeitet. Dennoch hat zeitweise die Automobilindustrie dominiert und deren Auf- und Abschwünge haben auf uns gewirkt, aber nie in der Existenz bedroht. Die eine oder andere schlaflose Nacht gab es dennoch.
Was waren Ihre spannendsten Projekte?
Große Teams bei Kunden, die globale Systeme entwickeln. Dort waren wir stärker im Consulting und Training aktiv. Zu sehen, wie man diese Teams zusammenbringt, wie man alle auf eine gemeinsame Methodik einschwört, damit diese auch global konsequent gelebt wird, ist ein sehr spannendes Thema. Da entstehen viele Situationen, die nicht technisch zu lösen sind, sondern auch Verstehen, Besprechen und Einigen erfordern. Kulturelle Faktoren kommen hinzu.
Was hebt Ihr Unternehmen von Wettbewerbern ab?
Unsere Mischung aus technischer Expertise kombiniert mit auf Anwendbarkeit fokussierte, wissenschaftliche Genauigkeit. Keine „Elfenbeinpräzision“, sondern die Abwägung, welches Level Präzision wirtschaftlich sinnvoll und für Teams zielführend ist.
Wie kam es im Jahr 2021 zum Wechsel an die Hochschule?
Ich habe mich schon immer für beide Welten begeistert. Für mich war die Gründung wesentlich von der Gelegenheit, dass Unternehmen uns beauftragt hatten, getrieben und es war nicht so klar, in welche Richtung es für mich langfristig geht. Unser Unternehmen hat sich mit den Gründern entwickelt - das Thema Familie wurde bei allen relevanter. Bei mir kam der Wunsch hinzu, Themen mit gesellschaftlicher Relevanz zu bearbeiten, für die die Finanzierung im Unternehmen häufig schwer ist. Ein dritter Punkt war, dass ich gesehen habe, dass sich akademisch Bildung verändern muss: Ich habe in vielen Unternehmen mit Leuten zusammengearbeitet, die keine passende Ausbildung hatten, weil das Thema Anforderungen an Hochschulen nicht in dem Umfang gelehrt wird, wie es in der Praxis gebraucht wird.
Die Fachhochschule Südwestfalen bietet hier einen Master mit den Schwerpunkten IT-Qualität, Requirements Engineering und Software-Test. Auch im Bachelor für Wirtschaftsinformatiker, Wirtschaftsingenieure und BWLer gibt es eine entsprechende Pflichtveranstaltung, damit alle lernen, wie Anforderungen sauber erhoben werden. So wird mein Praxiswissen für mehr Studierende verfügbar.
Wie finden Sie Balance zwischen Hochschule und Unternehmen?
Das kann man steuern und Prioritäten setzen. Die Frage ist einfach, wie man den Hochschulalltag gestaltet, Freiräume schafft oder es im Idealfall inhaltlich kombiniert. Es verlangt aber definitiv eine bisschen Organisationstalent und eine Menge Einsatz. Mit etwas Flexibilität und Spontanität funktioniert es ganz gut.
Welche Auswirkungen hat Ihre Praxistätigkeit auf Ihre Lehre?
Meine Praxis prägt die Auswahl meiner Inhalte stark. Das passt sehr gut zum Grundprinzip der HAWs: an Praxis-Themen orientieren und theoretische Themen entsprechend bearbeiten. Dafür ist meine Kombination aus Industrietätigkeit und HAW-Professur ideal. In der Praxis habe ich öfter Projekte gesehen, für die es wegen der Dimensionen der Entwicklung wichtig gewesen wäre, sich auch der ethischen Bedeutung bewusst zu sein. Also auch die inhaltliche Auswirkung und nicht nur auf Technik oder Tool begrenzt sehen. Das lehren wir jetzt. Eine weitere Dimension ist auch, in Vorlesungen wie in meinen Industrie-Schulungen einen gewissen Entertainment-Faktor zu bieten. Dank der HAW-typischen, kleinen Kurse kennen wir unsere Studierenden mit Namen. So kann ich der Lehre Konzepte einsetzen, in der kaum weniger PowerPoint-Folien auftauchen, sondern wo wir gemeinsam entwickeln: z.B. drei Tage Systementwicklung - womit fangen wir an?
Aus welchen Gründen arbeiten nicht mehr ProfessorInnen als UnternehmerIn mit der Wirtschaft zusammen?
Es wird in den Bundesländern, eigentlich sogar an jeder Hochschule unterschiedlich bewertet, wie sich eine unternehmerische Nebentätigkeit auf eine Professur auswirkt. Personalabteilungen achten darauf, wie stark man in das Unternehmen eingebunden ist, welche Aufgaben an einem persönlich hängen. Eine bedingte Mitarbeit im Unternehmen wird eher akzeptiert als die Verantwortung als GeschäftsführerIn.
Was wären Ihre wichtigsten Tipps für Studierende, Promovierende und ProfessorInnen, die zwischen Hochschule und Wirtschaft unternehmerisch tätig werden wollen?
Für alle Gruppen ist das Wichtigste, dass man es ausprobiert. Ich habe auch einige Gründungsseminare hinter mir, aber letztlich kommt es darauf an, dass man rausgeht, Unternehmen Projekte anbietet und abschließt. Das ist die größte Hürde und zugleich der größte Lerneffekt. Man braucht natürlich passende MitstreiterInnen, um weitere Unternehmen zu gewinnen und ein funktionierendes Netzwerk. Ebenso hinderlich ist Scheu vor vermeintlicher Konkurrenz. Wir konnten partnerschaftlich mit Konkurrenten kooperieren. Es kann gut sein, dass man bei einem Kunden einen Teil selbst abarbeitet, aber den anderen Teil gerne an einen Marktbegleiter abgibt.
Zu oft hält das Klischee des gescheiterten Unternehmers davon ab, es zu probieren. Alle, die es versucht haben, haben in kurzer Zeit wahnsinnig viel gelernt. Häufig waren es genau diese Erfahrungen, sehr viel Verantwortung, die dann im nächsten Job Basis für einen nahezu raketenhaften Aufstieg waren.
In der Informatik ist es ja relativ einfach, weil wir keine Fabriken brauchen, sondern meist nur Zeit investieren. Das Investment lohnt sich dabei aus meiner Sicht immer, auch wenn das erste Unternehmen nicht (so gut) läuft. Einer der Großen des Software-Engineerings bei Microsoft hat mir mal erzählt: bei Entwicklern ist es ein bisschen wie bei Rockstars. Die machen ihre bedeutendsten Alben fast immer in der Zeit zwischen 20 und 30, maximum 35. In der Zeit, wo man nicht gebunden ist, keine Familie hat, wo man noch keine großen Ansprüche hat, vielleicht noch in der WG lebt, da kann man sich voll auf eine Gründung fixieren und richtig was reißen.
Deswegen empfehle ich unseren Studierenden: einfach mal machen!
Welches Feedback bekommen Sie von Studierenden, wenn die erfahren, dass sie unternehmerisch tätig sind?
Das Feedback ist immer sehr interessiert. Immer wo es passt, schildere ich Situationen aus unserem Unternehmen oder aus Projekten. Viele Kontakte für unsere Gastvorlesungen entstehen aus der unternehmerischen Tätigkeit. Das finden die Studierenden wahnsinnig spannend. Auch, weil die das Gleiche sagen wie ich – weil ich eben gerne lehre, was in der Praxis gerade akut und wichtig ist.
© Stefan H. Poleck
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