Prof. Dr. Florian Schatz

... gründete 2002 den Online-Shop www.getDigital.de und blieb diesem bis 2017 als Geschäftsführer verbunden. Ab 2017 übernahm er als Professor die Studiengangsleitung E-Commerce an der FH Wedel. 2021 startete er als Mitgründer die SEED17.academy, eine digitale Lernplattform, die ArbeitnehmerInnen zum Thema Nachhaltigkeit qualifiziert. Seit 2022 ist er Professor für Informatik/ Webentwicklung an der Fachhochschule Kiel.

Interview und Autor: Stefan H. Poleck

Wie ist es zur Gründung Ihres ersten Unternehmens gekommen?

Für meine erste Informatik-Vorlesung wollte ich coole T-Shirts haben. Mit Sprüchen für Nerds wie „I will not fix your computer“ oder „RTFM - read the fucking manual“. Die aus USA kosteten 50 Euro plus Versandkosten.

Was waren Ihre ersten Schritte? 

Wir haben einen kleinen Shop programmiert und zehn coole Shirts beim Copyshop für uns bestellt, einfach so zum Ausprobieren. Nach zwei Tagen kamen die ersten Bestellungen, nach einem Monat haben wir die erste Maschine gekauft, um T-Shirts selbst zu bedrucken. Zum Start im Keller meiner Mutter, auf 4 x 4 Metern und Rechnungen mit Word. Dann Umzug ins erste Geschoss von Opas Haus. Später zur Miete. Wir saßen in der Vorlesung dann häufig hinten, weil wir Kunden öfter Fragen beantworten mussten.

Was waren die größten Herausforderungen? 

Immer wieder das Personal. So lange man als Geschäftsführer das ganze Wachstum noch selbst planen und koordinieren kann – kein Problem. Wenn man dann Teile von Planung und Umsetzung abgeben möchte, braucht man passende Persönlichkeiten. Ab etwa zehn Mitarbeitern brauchten wir neue Vertriebskanäle, neue Kunden, neue Produkte. Um das zu skalieren braucht es Menschen, die selber Wachstum schaffen können. Wir haben im Studium nicht gelernt, wie man eine Organisation skaliert. Tausend Bestellungen am Tag durchzuziehen, das kann man organisieren. Auch man muss lernen, die Perfektion, die man im Studium lernt, abzulegen. Das heißt: nicht alles durchplanen, was in einem halben oder einem ganzen Jahr sein könnte, sondern viel mehr ausprobieren. Produkte am Kunden testen: wie verkauft es sich?

Wie haben Sie die Herausforderung Personal gemeistert?

Am Anfang steht die Frage: Welche Menschen brauche ich? Die, die etablierte Prozesse einfach durchführen – oder, wenn man für Marketing oder Produktentwicklung Menschen braucht, die intrinsisch getrieben sind, selbst Ideen haben und mit sauber definierten Prozessen Ideen weiterentwickeln. Wir haben auch ein gutes Learn-Management aufgebaut, damit die Mitarbeiter wissen, was sie wann lernen sollen. Heute würde ich Kriterien entwickeln, um herauszufinden, wer für „Wachstums-Jobs“ geeignet ist. Zum Beispiel intrinsisch motiviert, Selbst-Lerner und saubere Umsetzung, also Potenzial – das Fachliche kann man lernen.

Was waren die spannendsten Projekte?

Unsere Internationalisierung über D-A-CH hinaus - jeweils in Landessprache. Die gesamte Website wurde technisch umstrukturiert, damit die Übersetzer live auf der Seite arbeiten konnten, ebenso die Qualitätskontrolle. Durch die Individual-Lösung haben wir rund 80 Prozent der Kosten gespart und so nur ca. 10.000 Euro gebraucht. Nach drei Monaten waren wir dann in vier zusätzlichen Ländern mit 300 Produkten online. Ähnlich die Lagerhaltung: Ich habe ich mich zwei Tage eingeschlossen, programmiert, Mitarbeiter herangeholt, ausprobiert, nochmal einen Tag programmiert und dann hatten wir eine Software für chaotische Lagerhaltung in unserer Warenwirtschaft. Es waren so viele Projekte und es hat viel Spaß gemacht!

Wie kam es 2017 zu der Idee, an die Hochschule zu wechseln? 

Nach 15 Jahre war alles, was im Unternehmen notwendig war, programmiert. Alle Bereiche hatten eine Software, die sauber dokumentiert lief. Auch ein eigenes Wiki. Wir hatten viele Jahre lang 50 % Wachstum und konnten über Produkte und Marketing weiter skalieren - die Schwerpunkte des jetzigen Eigentümers, meines Mitgründers. Für mich war es Zeit für etwas Neues. Es hat mir immer Spaß gemacht, Menschen etwas beizubringen. Erste Lehrerfahrungen hatte ich an der FH Kiel als Lehrbeauftragter. Als Geschäftsführer kannte ich jede Stellschraube unserer Firma. Dann in die Lehre zu gehen, war wie Scheuklappen abzusetzen. Eine zusätzliche Dimension - unheimlich bereichernd.

Und 2021 haben Sie sich dann noch einmal an einer Gründung beteiligt … 

Ja, die SEED17.academy gestaltet die digitale Lernreise im Bereich Nachhaltigkeit. Wir bauen ein gemeinsames Grundverständnis der geschulten Mitarbeitenden auf und so können Unternehmen sie einfacher bei der Transformation mitnehmen. Zusätzlich werden anonym Einstellungen, Chancen und Risiken aus Sicht der Mitarbeiter erhoben und als Steuerungsinstrument für das CSR-Management verfügbar.

Welche Auswirkungen hat Ihre unternehmerische Praxis auf Ihre Lehre?

An Hochschulen für angewandte Wissenschaften sollen Menschen lernen, das zu bauen, was Kunden wollen. Sie haben also die Bereiche Bauen plus Menschen plus Wollen. Klassisch hat man dann ein Fach und der Stoff, den man lernt, hat erstmal nicht unbedingt etwas mit Bauen zu tun. Für wen baue ich etwas? Der Mensch, der etwas nutzen soll, muss im Zentrum aller Überlegungen stehen. Diese Perspektive habe ich 15 Jahre als Unternehmer immer weiter verfeinert und sie prägt meine Lehre sehr. Und, dass man in einer gewissen Zeit und mit gewissem Budget etwas Passendes, das funktioniert, fertig stellen muss. Um Geld zu verdienen. Unterschwellig trage ich das in jede Lehrveranstaltung.

Warum gibt es wenige Professoren, die umfangreicher mit der Wirtschaft zusammenarbeiten?

Man sollte zwischen privaten und öffentlichen Hochschulen unterscheiden. Bei den privaten sehe ich einen monetären, praxisnahen Aspekt, weil darüber Geld fließt - das kann ein Zielkonflikt sein. Öffentlichen Hochschulen haben den Luxus, unabhängig zu sein. Das ist ein sehr hohes Gut. Wenn ich aktuell an der (öffentlichen) Hochschule etwas mache, dann wird dazu ermutigt. Die FH Kiel ist da etwas besonders, die sagt: Mach das, wir wünschen uns das. Der Tenor ist, dass die Lehre praxisnah sein soll. Es ist schwierig, Regeln aufzustellen, weil Unternehmertum so mannigfaltig ist. Es gibt keine Incentivierung, wenn man etwas in der angewandten Forschung macht. Wenn es Forschungsprojekte sind, dann gibt es zum Teil eine Reduktion der Semester-Wochenstunden. Das ist eventuell nicht ganz ausgewogen.

Welches Feedback bekommen Sie von Studierenden, die gemerkt haben, dass Sie auch unternehmerisch tätig waren?

Die finden das mega spannend und fragen, wie es war. Da nehme ich mir die Zeit und steige entsprechend tiefer ein. In den Evaluierungen, die meine Studierenden mir zum Ende eines Semesters geben, sehe ich Formulierungen wie „aus der eigenen Erfahrung“, „Praxisnähe“, „ich kann damit etwas anfangen“ und auch recht häufig “Selbstwirksamkeit”. Schön, wenn jemand schreibt: „Wenn mir jemand vor zwei Jahren gesagt hätte, dass ich programmieren lerne, dann wäre ich lachend aus dem Zimmer gelaufen.“

Was wären Ihre wichtigsten Tipps für Informatiker, die selbst einen ähnlichen Weg wie Sie gehen wollen?

Loslegen, einfach machen, nicht lange warten, nicht auf den nächsten Monat, nicht auf den Sommer warten, sondern heute starten. Nicht alles perfekt machen, das heißt: anders als man es an der Hochschule lernt. Nicht 80-20, sondern eher 20-80, also ganz, ganz schnell starten. Um zu sehen, ob wirklich Nachfrage da ist. Ich empfehle “Lean Start-up” von Eric Ries zu lesen. In ganz vielen kleinen Schritten bauen und kontinuierlich Marktfeedback holen.

© Stefan H. Poleck

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